Fachvortrag: Bindung ist (fast) alles – ist ohne Bindung alles nichts?

Warburg. „Bindung, das ist der sichere Hafen, den Kinder und Jugendliche benötigen, um die Welt erkunden zu können“: Mit diesen Worten begann der Aachener Hochschullehrer Prof. Dr. Alexander Trost seinen Fachvortrag über Erkenntnise der Bindungstheorie und pädagogische Folgerungen in der Aula der Petrus-Damian-Schule. Eine Aussage, welche die anwesenden Mitarbeiter von Jugenddorf und Petrus-Damian-Schule vollauf bestätigen.„Ohne eine tragfähige Bindungsbeziehung kommen wir an unsere Schützlinge nicht heran“, sind sich auch Schulleiter Michael Brockmeier und Elmar Schäfer, Einrichtungsleiter des Jugenddorfes Petrus Damian, einig.

Einrichtungen der Jugendhilfe, so Kinder- und Jugendpsychiater Trost weiter, sehen sich zunehmend mit bindungsgestörten Kindern und Jugendlichen konfrontiert, für die das Leben und Lernen in besonderem Maße schwierig ist. Grund genug für Leitungen von Schule und Jugenddorf, eine Fortbildung zu organisieren, die Grundlagen der Bindungstheorie beleuchtet, aber auch Möglichkeiten und Grenzen der pädagogischen Arbeit aufzeigt.

Für die Entwicklung gesunder Bindungsbeziehungen lassen sich Entwicklungsfenster ausmachen, „genau wie bei der Sprachentwicklung“, so Trost. Dabei spielten vier Ebenen im Gehirn eine Rolle, „nämlich die untere, mittlere und obere limbische Ebene sowie die kognitiv-sprachliche Ebene“. Wichtig daran sei, dass die erste Ebene sich im Kindes- und Jugendalter nicht mehr beeinflussen lasse und für Veränderungen insbesondere auf der zweiten Ebene „starke und lange emotionale und soziale Einwirkungen erforderlich sind“. Dabei, so Trost, komme der Resonanz eine besondere Bedeutung zu: „Wir leben von Anfang, schon im Kleinkindalter, von Resonanz, Anerkennung und emotionaler Spiegelung. Dies ist die Grundlage einer sicheren Bindung, die Lebensbewältigung, Erkundung der Welt und Lernen ermöglicht“, sagt Trost. Anfangs benötige ein Kind feinfühlige Co-Regulation und lerne erst im Laufe der Entwicklung, sich immer besser und häufiger selbst angemessen zu regulieren.

Die Bindungstheorie unterscheide unsicher-vermeidende, sicher gebundene und unsicher gebundene Kinder, „also A-, B-, und C-Kinder, die jeweils mit bestimmten Verhaltensweisen bei Angst und Trennung reagieren“, informiert Trost, der wiederholt unterstrich: „Von zentraler Bedeutung für die Entwicklung eines stabilen  Bindungsverhaltens ist ein feinfühliges Eingehen auf negative wie positive Äußerungen des Kindes, und zwar von Beginn an“. Während A-, B- und C-Kinder den organisierten Bindungsstilen zugerechnet würden, habe die Forschung   neuerdings D-Kinder ausgemacht, die gekennzeichnet sind von einer „desorganisierten Bindungsbeziehung, die durch Trauma und chronische Belastung entsteht“. Dabei, so Trost, wirkten sich nicht nur traumatische Erfahrungen des kleinen Kindes selbst, sondern auch der Mutter während der Schwangerschaft aus.

Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe müssten auf diese vielgestaltigen Herausforderungen eingehen, indem sie einen Rahmen bieten, der von Struktur und Verlässlichkeit gekennzeichnet sei. Erzieher und Lehrer könnten für die Kinder zur sekundären Bezugsperson werden. Fundamentale Grundlage sei „ein langatmiges Beziehungsangebot und eine enge Zusammenarbeit mit Eltern, Jugendämtern, Gerichten, kurzum: Mit allen, die mit dem Kind arbeiten“, erklärt Trost, der zum Abschluss seines Vortrags auch auf die Belastungen des pädagogischen Personals einging. Förderung der Bindungsentwicklung brauche institutionelle Voraussetzungen: „Gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, persönliche Stabilität, Professionalität und Liebe sowie rechtliche Sicherheiten sind unerlässlich“.   Wichtig seien zudem Unterstützungssysteme. „Auf Möglichkeiten der Erholung und Kraftquellen, genug Personal für die oftmals sehr schwierigen Kinder und Jugendlichen, Begleitung durch Vorgesetzte und Supervision kommt es an“, resümiert Trost, der  seinen Vortrag schließt mit einem Appell an die Politik: „Es braucht gute Rahmenbedingungen und Ressourcen für die Arbeit mit schwierigen Kindern und Jugendlichen, aber eines ist besonders wichtig, nämlich die Prävention. Professionelle Frühförderung zahlt sich aus und ist auch unter Kosten-Nutzen-Aspekten der sinnvollste Ansatz.“